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Vortrag PD Mainz 18.03.2015



Aus- und Fortbildung der Polizeidirektion Mainz „Drogen- und Medikamentenerkennung im Straßenverkehr“

Die Drogenfahrt aus Sicht der Staatsanwaltschaft

von Oberamtsanwalt Jürgen Hobert
Staatsanwaltschaft Mainz
18.3.2015


Keine Grenzwerte bei BtM
Es gibt keine Grenzwerte der Fahrunsicherheit bei BtM
Dies wird auf lange Sicht auch so bleiben
Damit existiert nur die relative Fahrunsicherheit
Diese ist nur bei Feststellung von hinreichenden Ausfallerscheinungen vorhanden welche genau zu dokumentieren sind

Zeitpunkt der Dokumentation
Genaue Dokumentation der Ausfall- und Auffallerscheinungen:
Am Tatort sind die Wirkstoffkonzentrationen noch unbekannt.
Der Polizeibeamte entscheidet über die (spätere) Einordnung des Vorgangs als Straftat oder Ordnungswidrigkeit.
Daher ist eine genaue Dokumentation der Auffall- und Ausfallerscheinungen unentbehrlich.
Bei hohen Wirkstoffkonzentrationen genügt mitunter eine einzige (echte) Ausfallerscheinung (Harte Kriterien!)
Es gibt keinen wissenschaftlichen Beweis, dass bei Grenzwertunterschreitung eine Wirkung ausgeschlossen wäre!

Beweiskraft der Dokumentation:
Was unmittelbar am Tatort dokumentiert wird, hat höchste Beweiskraft
Nachträglich eingeholte Stellungnahmen der Polizeibeamten sind angreifbar
(Erinnerungsvermögen, Belastungseifer aufgrund jetzt bekannter hoher Wirkstoffkonzentrationen…)

Fallbeispiele:
Fall 1:
Gleichgewichtsprobleme: Probleme beim Einbeinstand ohne weitere Ausführungen
StA Nachermittlung: Ich bitte um kurze Ausführung zum Bericht „Abbruch der Einbein-Steh-Probe.“ Kann dies noch konkretisiert werden ? 0,5 ng/mL THC

Fall 2:
Reaktionsprobleme: Wirkt etwas abwesend und reagiert leicht verzögert.
420 ng/mL Amphetamin, 4 ng/mL Benzoylecgonin, 1,6 ng/mL THC
Anruf bei den ermittelnden Beamten:
1. musste länger nachdenken, bevor er antwortete, in der Gegend herumgesehen, nur auf Ansprache reagiert, sehr wenig geredet, sehr gutes Deutsch gesprochen (Slowene)
2. gar nicht realisierte, dass es sich gerade um eine Polizeikontrolle handelte, reagierte „wie in einer anderen Welt“, auf polizeiliche Fragen derart verzögert reagierte, dass man den Eindruck hatte, dass er erst mal die Frage verarbeiten musste, um dann endlich antworten zu können.
Ergebnis: Klarer 316 StGB; Gutachten der Rechtsmedizin in Auftrag

Fall 3:

Kaum Auffälligkeiten! Torkelbogen „Reaktion verzögert“ ohne weitere Erklärungen!
3,2 ng/mL THC, 1,7 ng/mL Hydroxy-THC, 33 ng/mL THC-Carbonsäure
Keine Rückfrage der StA bei den Polizeibeamten, da auch im Sachverhalt keinerlei Anhaltspunkte für verzögerte Reaktionen!
Ergebnis: § 170 II StPO mit Abgabe an Bußgeldstelle § 24 a StVG

Fall 4:
Kann beim Stiftfixiertest mit den Augen schlecht folgen
Es liegt Pupillenkonvergenz vor
Es ist ein sogenanntes Reboundphänomen zu erkennen
Damit einhergehend ist ein Vibrationszittern der Hände sowie der Augenlider festzustellen
Besch: Ich habe heute um 11.00 Uhr (Tat 20.30) einen Joint geraucht und auch an den letzten zwei Tagen
Arzt: Vigilanz gesteigert, Sprache deutlich bis verwaschen (Beschuldigter ist Ire!!!)

Merke:
Der „Torkelbogen“ ist nur ein Hilfsmittel
Ein Ankreuzen reicht keinesfalls aus
Die Erscheinungen müssen im Ermittlungsbericht ausgeführt werden

Keine Blutentnahme möglich!
Fallbeispiel (Ausnahmefall):
Besch. fährt mit KKR Versicherungskennzeichen
Polizeikontrolle, Vorerkenntnis 2007 BtM-Konsum, nach Konfrontation von vorher freundlich auf „sprunghaft hibbelig“
Kopf in Nacken, Arme nach vorne, Augen verschlossen= Augenlider zittern extrem sichtbar
Besch: Zittern kann vom Tilidin kommen, am Vorabend genommen
Erst nach Aufnahme von 0,6 L Wasser Urinprobe möglich
Test positiv auf Amphetamin, Opiate, THC
Arzt versucht an Armen und Beinen Blutentnahme vergeblich!!!
Blutentnahmeprotokoll Tilidin 50 gestern 23.30 Uhr
Toxikologischer Befund: Amphetamin stark positiv (>10000 ng/mL)
THC nur Carbonsäure!, Morphin 86 ng/mL, Hydromorphon 23 ng/mL, Nortilidin Spur ca. 0,3 ng/mL
Ergebnis???
Verfahrenseinstellung, da der Stoff im Blut vorhanden sein muss und Urin in § 24 a StVG nicht genannt ist!

§ 24 a StVG
(1) Ordnungswidrig handelt, wer im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt, obwohl er 0,25 mg/l oder mehr Alkohol in der Atemluft oder 0,5 Promille oder mehr Alkohol im Blut oder eine Alkoholmenge im Körper hat, die zu einer solchen Atem- oder Blutalkoholkonzentration führt.
(2) 1Ordnungswidrig handelt, wer unter der Wirkung eines in der Anlage zu dieser Vorschrift genannten berauschenden Mittels im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt. 2Eine solche Wirkung liegt vor, wenn eine in dieser Anlage genannte Substanz im Blut nachgewiesen wird. 3Satz 1 gilt nicht, wenn die Substanz aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt.

Auffall- und Ausfallerscheinungen
Lesenswert!
Kriterien zur Feststellung von Fahrunsicherheit (NZV 2011,584):
Harte Kriterien
Noch relevante Kriterien
Nicht relevante Kriterien

Legal High Verdacht
Besch. wendet, dabei kommt es zum Unfall mit dem Gegenverkehr ohne Verletzte
Augenlidflattern, zitternde Hände, kleine Pupillen mit träger Reaktion und Rebound-Effekt
Besch. gibt an, „vor zehn Tagen legal highs konsumiert“ zu haben, an einer Bong gezogen
Ergebnis der toxikologischen Untersuchung ist negativ!!!
Untersuchung auf 60 gängige Stoffe in einem akkreditierten Partnerlabor.
Polizeivermerk hierzu: Nach hiesigem Kenntnisstand sind derzeit ca. 230 Stoffgruppen JWH denkbar. Testverfahren derzeit noch nicht möglich oder zu kostenintensiv?
Für ausführliche Klärung wäre ein entsprechendes Gutachten zu beauftragen
(im Auftrag der Polizei war schon der Hinweis auf legal highs und das Produkt Manga enthalten)
Was tun?
War der Unfall rauschmittelbedingt?
Reichen die sonstigen „Ausfallerscheinungen“ aus, um weitergehende Untersuchungen zu veranlassen? Welche?

Blutentnahmeprotokoll
Wenn Sie als Polizeibeamte die Schrift des Arztes im Blutentnahmeprotokoll nicht entziffern können,
warum sollte dies dann dem Sachbearbeiter der Staatsanwaltschaft gelingen?
Eine kurze Nachfrage vor Ort mit entsprechender Dokumentation bringt sofortige Klärung.
Eine Klärung durch die Staatsanwaltschaft, könnte nur durch Übersendung des Protokolls an den Arzt erfolgen, der dann hoffentlich seine Schrift noch lesen kann.

Das Blutentnahmeprotokoll enthält oft sehr wertvolle Hinweise, die auch aus polizeilicher Sicht gewertet werden sollten!!!

Blutentnahmeprotokoll
Trunkenheitsfahrt 9.2.13; Polizeibeamter teilt private Beobachtung mit: Unsicherer Gang zum Fahrzeug, Schwierigkeiten beim Aufschließen des PKW, Motor zweimal abgewürgt. Dräger 6510 ergibt 1,35 Promille.
Im Blutentnahmeprotokoll: „3 mal täglich Antidepressivum eingenommen und L-Thyroxin 100/125 in tgl. Wechsel.“ Keine polizeiliche Nachfrage, welches Antidepressivum in welcher Dosis eingenommen wurde. Medikamentenuntersuchungsauftrag nicht erteilt! StA Ermittlung: L-Thyroxin ist ein Schilddrüsenmedikament.

Sprachbarrieren
Sofern sich aus dem Kontakt mit einem Unfallbeteiligten ergibt, dass dieser nicht a l l e s versteht, ist ein Hinweis in den Akten angezeigt.
Für eine eventuelle Hauptverhandlung ist dann nämlich ein Dolmetscher zwingend erforderlich!
Nicht selten warten Polizeibeamte auf ihre Vernehmung und müssen bereits ohne diese wieder entlassen werden, weil ohne Dolmetscher nicht verhandelt werden kann.
Diese Wartezeit kann man sich durch ausreichende Dokumentation ersparen.

Ältere Verkehrsteilnehmer
Fahrer 78 Jahre fährt mit PKW bei Dunkelheit und Starkregen
Bemerkt, dass er „nichts mehr sieht“
Greift nach Lüftung, wobei es kracht
Überfährt Verkehrsinsel, die Gegenfahrbahn, Gegenverkehr kann rechtzeitig bremsen, durchbricht hohe Hecke, fährt Abhang runter, „bremst“ 20 Meter weiter an der Hauswand

Sieht jemand Anlass zu einer Mitteilung an die Fahrerlaubnisbehörde nach § 2 XII StVG ?
Fehlende Bremsung weist auf verzögerte Reaktion hin.
Fahrerlaubnisbehörde sollte dies klären!

Anordnung der Blutentnahme bei Verdacht einer Verkehrsordnungswidrigkeit
Die Anordnung der Blutentnahme bei Verdacht einer Verkehrsordnungswidrigkeit obliegt dem Richter
(§§ 46 Abs. 1, Abs. 4 S. 1, 53 Abs. 2 OWiG, 81 a Abs. 2, 98 Abs. 1 StPO; siehe auch Nr. 4.3 der gemeinsamen Verwaltungsvorschrift des Ministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz und des Ministeriums des Innern, für Sport und Infrastruktur vom 4. Dezember 2014; MJV 4103-4-3)

Die Staatsanwaltschaft ist bei diesem Antrag nicht beteiligt.
Im hiesigen Bezirk entscheidet die Ermittlungsrichterin beim AG Mainz nur auf schriftlichen Antrag der Polizei.
Die Richter der Rufbereitschaft (Eildienst) entscheiden auch auf mündlichen Vortrag.

Schriftlicher Antrag:
Der Max Müller, geb. am 7.2.1964 in Mainz, befuhr heute um 14.00 Uhr mit dem PKW MZ-V 373 die Rheinallee in Mainz. Er roch nach Alkohol und hat den Atemalkoholtest verweigert. Es besteht der Verdacht einer Verkehrsordnungswidrigkeit nach § 24 a StVG. Ich bitte um Anordnung der Entnahme einer Blutprobe.

Polizeiliche Mitteilung an die Fahrerlaubnisbehörde
Wenn die Polizei erst nach Eingang des toxikologischen Gutachtens der Fahrerlaubnisbehörde die Mitteilung nach § 2 XII StVG mit dem Gutachten übermittelt, hat diese ausreichende Informationen
Dokumentation in den Akten, welche Nachricht an die Fahrerlaubnisbehörde übermittelt wurde, damit die Staatsanwaltschaft nicht doppelt mitteilt
Genügt dann nicht die einfache Einstellungsnachricht der Staatsanwaltschaft an die Fahrerlaubnisbehörde?

Zusammenfassung
Die polizeiliche Dokumentation der Auffall- und Ausfallerscheinungen bei Drogenfahrten kann durch zutreffende Beschreibungen der vor Ort festzustellenden Erscheinungsbilder noch weiter verbessert werden!

Dabei sollte der Polizeibeamte möglichst eigene Worte finden, weil diese viel aussagekräftiger sind, als Ankreuzungen im „Torkelbogen“ oder inhaltslose Wiedergabe von Fachausdrücken (z. B. Reboundphänomen).

Das Blutentnahmeprotokoll sollte immer vollständig beachtet werden!

§ 24 a StVG
Eine Urinprobe ist für die Verkehrsordnungswidrigkeit irrelevant
(Kann aber für das Strafverfahren von erheblicher Bedeutung sein!)

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit!

Bleiben Sie neugierig…