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Vortrag VD Mainz 12.05.2011

Vortrag VD Mainz 12.5.2011





Drogenfahrt: Straftat oder Ordnungswidrigkeit?

Von Amtsanwalt
Jürgen Hobert
Staatsanwaltschaft Mainz



Fragestellung:

1. Sollte die Polizei bei der Anzeigenerstattung alle Fahrten unter Drogeneinfluss als Straftat nach § 316 StGB erfassen?
2. In welchen Fällen verfolgt die Staatsanwaltschaft eine Drogenfahrt als Straftat?

Fragen sind jederzeit zulässig und erwünscht!Ein auszugsweiser Überblick zum Thema der Einordnung von Drogenfahrten findet sich unter www.juergenhobert.de.Die vollständigen Präsentationen werden als Datei der Dienststelle zur Verfügung gestellt.


1. Polizeiliche Einordnung

Zum Zeitpunkt der Anzeigenerstattung liegt noch kein Toxikologiebefund vor!
Allenfalls ist ein positiver Drogentest (Mahsan etc.) vorhanden, gegebenenfalls auch die Angaben des Fahrers zum Drogenkonsum.
Somit kann meist alleine aus den Ausfallserscheinungen eine Einordnung erfolgen.
Nur wenn diese Ausfallserscheinungen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine auf die Wirkung einer bestimmten Droge beruhenden Fahrunsicherheit begründen können, sollte eine Einordnung als Straftat erfolgen.
Im Ergebnis sollte daher nicht bei allen Drogenfahrten von einer Straftat ausgegangen werden!
(Folgen wären ansonsten falsche Belehrungen als Beschuldigter statt Betroffener etc.)



2. Drogenfahrt als Straftat

Fahrunsicherheit
Juristische Definition:
Fahrunsicherheit setzt voraus, dass die Gesamtleistungsfähigkeit
des Fahrzeugführers infolge geistiger oder körperlicher Mängel soweit herabgesetzt ist, dass er nicht mehr fähig ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr über eine längere Strecke, auch bei Eintritt schwieriger Verkehrslagen sicher zu steuern (BGH, Urt.v.15.4.2008, 4 StR 639/07).

Anmerkung des Verfassers: Das gilt für absolute und relative Fahrunsicherheit!

Fahrunsicherheit ist Tatbestandsmerkmal des § 316 StGB, nämlich dort „nicht in der Lage, das Fahrzeug sicher zu führen“ und damit als Rechtsfrage eindeutig vom Richter und vorab vom Staatsanwalt zu klären.

Allerdings bedienen sich diese zur Klärung der Rechtsfrage der Hilfe eines Sachverständigen der Rechtsmedizin.

Der Sachverständige nimmt in seinem Gutachten zu dieser Frage Stellung und stellt drogenbedingte Fahrunsicherheit fest oder erklärt, dass die Gesamtleistungsfähigkeit der Fahrzeugführers eben nicht im Sinne der o.g. Definition gestört war.

Dabei sollte der Richter zumindest ein Grundwissen besitzen, welches ihn in die Lage versetzt, Widersprüche im Gutachten zu klären. Er muss sich mit dem Gutachten kritisch im Urteil auseinandersetzen und darf ihm nicht blind folgen.



Unübersichtliche Vielzahl der drogenbedingten Ausfallserscheinungen

Je nach Stimmung, Affektlage, Gewöhnung und anderen schwer bestimmbaren Einflüssen sind nach Drogengenuss Zustandsbilder von unübersehbarer Vielfalt denkbar (Maatz, BA 95, 102).

Die Vielzahl der möglichen Ausfallserscheinungen sind in den Sachverständigengutachten der Rechtsmedizin für die jeweilige/n Droge/n beschrieben.

Sie lassen sich wegen ihrer Vielzahl kaum schematisch erfassen und können nur mit dem erforderlichen Sachverstand bewertet werden. Dabei ist bei entsprechenden Anhaltspunkten unbedingt zu berücksichtigen, dass eine Abgrenzung der Erscheinungen von nicht drogenbedingten Krankheitsbildern zu erfolgen hat. Beispielsweise kann ein Körperschwanken auf einer Hüftoperation und eine stark lallende Aussprache auf einem Schlaganfall beruhen oder aber die Folge eines Alkoholkonsums sein.

Die richterliche Plausibilitätskontrolle des Sachverständigengutachtens sollte dies berücksichtigen. Gleiches gilt für die Staatsanwaltschaft bei der Begründung eines hinreichenden Tatverdachts einer drogenbedingten Trunkenheitsfahrt.





Zur Vielfalt siehe Darstellung BA 2003, 269! Allein dort sind 121 Kriterien genannt!
Torkelbogen: 87 Ankreuzmöglichkeiten Blutentnahmeprotokoll: 111 Ankr.Möglichkeiten


Ausfallerscheinungen:
müssen drogenbedingt sein
müssen zur Drogenwirkung passen
müssen von Krankheitsbildern abgegrenzt werden

Praxisauswertung

Es lagen 13 Sachverständigengutachten der Rechtsmedizin Mainz aus dem Zeitraum September 2010 bis Mitte März 2011 vor.

Davon ergaben 7 Gutachten eine Fahrsicherheit trotz Drogennachweises und lediglich 6 Gutachten eine drogenbedingte Fahrunsicherheit.


Gutachtenergebnisse

I. Fahrsicherheit ergab sich bei
a) THC
- 47 ng/mL !
- 36,7 ng/mL !
- 19 ng/mL !
- 3,6 ng/mL
- 1,4 ng/mL

b) anderen Drogen
- 0,250 mg/L Amphetamin
- 0,819 mg/L Morphin


Annahme der Fahrunsicherheit im Gutachten

THC
unter 1 ng/mL: Auffahrunfall, starkes Augenlidflattern, starkes Körperzittern, leichtes Vor- und Zurückwiegen des Körpers, verminderte Pupillenreflexe, leichtes Nachziehen und Zittern der Augäpfel, starkes Schwanken beim Urinieren mit Zusammensacken und Rückenfallen

5,2 ng/mL: träge Lichtreaktion, Reboundeffekt bei Lichteinfall in die Pupillen, Lidflattern (=Störungen der Pupillo- und Feinmotorik)

8,5 ng/mL: sehr träges Antwortverhalten, Aufforderungen müssen mehrfach wiederholt werden, Schwitzen bei 16 ° Außentemperatur

3,9 ng/mL: starkes Schwitzen und Zittern sowie Augenlidflattern, Gleichgewichtsverlust des linken Beins beim Ein-Bein-Steh-Test, stark verzögerte Pupillenlichtreaktion, beim Blickrichtungsnystagmus ins Schielen verfallen, Pupillen 2 mm nachts




b) Mischkonsum THC und Amphetamin
ca. 4 ng/mL und 0,0220 mg/L: Nervosität, zitternde Hände, Lidzittern, Pupillenreaktion eher träge, Pupillen 6 mm, Konvergenzreaktion gestört

c) Amphetamin
- 0,200 mg/L (=200 ng/mL): deutliches Lidflattern, Vibrationszittern der Hände, deutliche Probleme beim Ein-Bein-Steh-Test weshalb dieser nicht durchgeführt werden konnte, aufgeregtes Verhalten, Pupillen 7 mm, Lichtreaktion träge, Reboundphänomen, Konvergenzreaktion gestört mit Augenabweichung rechts


Ausfallerscheinungen nach THC-Konsum

Akute Phase:
- farbige fantasiereiche Wahrnehmungsveränderungen
- gestörter Denkablauf (Realitätsbezug meist noch vorhanden)
- freundliche Grundstimmung kann in Ängstlichkeit, Aggressivität
und depressive Verhaltensweisen übergehen (=instabile
Stimmungslage)
- schleppender Gang
- Sprachschwierigkeiten (häufig verlangsamte Sprache)
- Begriffsstutzigkeit
- weite und lichtträge Pupillen
- lethargisch, müde

Subakute Phase:
- ausgelassene, unbekümmerte Grundstimmung mit Euphorie
und Wohlbefinden
- Kritikfähigkeit herabgesetzt
- eigene Leistungsfähigkeit wird überschätzt

Postakute Phase:
- Konzentrationsschwächen
- leichte Ablenkbarkeit
- Träumen
- Aggressive Ausbrüche





Verkehrsmedizinisch relevante Wirkungen und Nebenwirkungen

Typische Fahrfehler bzw. Fahrauffälligkeiten
Wechselnde Geschwindigkeiten
Abweichungen, Abdriftungen von der Fahrspur (Lenkkorrektur)
Verspätete Reaktionen

Konzentrations- und Aufmerksamkeitsschwächen
Ausrichtung der Wahrnehmung auf irrrelevante Nebenreize
Nichtwahrnehmung von relevanten Reizen mit Fehlreaktionen wie z.B. Bremsen statt Gasgeben und umgekehrt
Missachtung von Vorfahrtszeichen und Rotlicht
Nicht adäquate Reaktionen auf Wahrnehmungen am Blickfeldrand (Fußgänger, spielende Kinder)
Verlängerungen der Reaktionszeit, Falschreaktionen und Störung von Automatismen in Stresssituationen und Phasen hoher Informationsdichte


Rückschlüsse
Die Fahrunsicherheit hängt nicht von der Höhe der Stoffkonzentration ab. Insbesondere kann starke Drogengewöhnung zu geringeren Ausfallserscheinungen führen.

Der Forschungsstand über die Dosis-Wirkungsbeziehungen (schon bei THC) ist nicht kosolidiert (gefestigt), was vor allem darauf zurückzuführen ist, dass experimentellen Studien Grenzen gesetzt sind und die Auswirkungen von einer Vielzahl von Faktoren abhängig sind (Hentschel/König/Dauer), 41. Auflage, § 316 StGB, Rdnr. 58).

Nur die Gesamtheit aller festgestellten maßgeblichen Faktoren wie Ausfallserscheinungen, Konsumangaben, Stoffkonzentration etc. kann eine Fahrunsicherheit begründen.


Rechtsprechung zum Thema

Die Rechtsprechung ist insoweit nicht sehr reichhaltig (Peter König, Leipziger Kommentar, § 316 StGB, Randnummer 164; Jurion).
Annahme der Fahrunsicherheit siehe Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., § 316 StGB, Rdnr.67
Ablehnung der Fahrunsicherheit a.a.O. Rdnr. 68

Siehe kurze Übersicht in www.juergenhobert.de
unter THC-Tabelle

sowie Datei mit 24 Entscheidungen im PDF-Format.
Kann von mir bezogen werden!


2. Ergebnis zur Fragestellung

Bei Drogenfahrten darf eine Straftat nach § 316 StGB nur bei hinreichenden drogenbedingten Ausfallserscheinungen angenommen werden!

Beispiele: Siehe Ausführungen zur Feststellung der Fahrunsicherheit im Gutachten (Folien 10, 11).


Polizei entscheidet den Prozess!
Die Beamten vor Ort entscheiden durch

ausreichende Dokumentation der Ausfallserscheinungen,

ob später im Verfahren eine Verurteilung als Straftat oder Ordnungswidrigkeit erfolgen wird.

(zur polizeilichen Ermittlungsarbeit Leipziger Kommentar, § 316 StGB, Randnummer 163)

(analytische) Grenzwerte:

Konzentrationen in dieser Höhe können bei Anwendung der Richtlinien der Gesellschaft für Toxikologische und Forensische Chemie (GTFCh) sowohl sicher nachgewiesen als auch quantitativ präzise und richtig bestimmt werden. („Analytische Grenzwerte“)
Die Grenzwerte enthalten (bereits) einen entsprechenden Sicherheitszuschlag.
Auch bei Werten unterhalb der Grenzwerte ist eine Verurteilung nach § 24 a StVG möglich, wenn sich aus weiteren Umständen ergibt, dass die Fahrsicherheit des Betroffenen zwar nicht aufgehoben, aber doch eingeschränkt war (Fahrsicherheitseinschränkung). BA 2007, 311

Wirkungsgrenzwerte

Bei Werten unterhalb der Wirkungsgrenze ist eine Verurteilung selbstverständlich ausgeschlossen!



a) Analytische Grenzwerte
THC-Tabelle

< 1 ng/mL THC – OLG Bamberg, 27.2.2007, 3 Ss OWi 688/05: Owi nur, falls Einschränkung der Fahrsicherheit festzustellen ist. Straftat bei hinreichenden Ausfallerscheinungen möglich (eig. Anm.: aber eher unwahrscheinlich).(s.a. OLG Celle, B. v. 30.3.2009, 322 SsBs 57/09)
1 ng/mL THC – Bundesverfassungsgericht, 21.12.2004, 1 BvR 2652/03: Es mit einer Drogenwirkung zu rechnen, ohne dass weitere Anzeichen festgestellt werden müssen. § 24 a StVG (sogenannter analytischer Grenzwert)
1,4 ng/mL THC – OLG Zweibrücken, B. v. 6.1.2009, 1 Ss 178/08: § 24 a StVG wird bejaht. Zeitspanne zwischen Konsum u. Fahrtantritt ist bzgl. Fahrlässigkeit zu prüfen.

3-4 ng/mL THC = Zeitnahe Durchschnittsblutkonzentration nach einem Joint
5 ng Über diesen Grenzwert für eine absolute Fahrunsicherheit wird von Rechtsmedizinern nachgedacht (Kauert/Müller-Trudrung, BA 2004, 29).
8 ng = Hoher Wert, weil doppelter Wert des Durchschnittskonsums
13,3 ng = OLG Zweibrücken, B. v. 10.5.2004, 1 Ss 26/04: Hoher Wert!
26,2 ng/THC – Thüringer OLG, B. v. 8.5.2007, 1 Ss 81/07: Die Wirkstoffkonzentration ist bereits für sich betrachtet hoch.
4 – 6 Stunden nach einem Konsum von 36 mg THC ist in der Regel weniger als 1 ng/mL THC in der Blutuntersuchung zu erwarten. BayVGH, 19.7.2010, 11 CS 10.540. Damit ist ein angeblich lange zurückliegender Konsum bei Messung von mehr als 3 ng zu widerlegen.




Fundstellen/Empfehlungen
Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht,
ISBN 978 3 406 580826 - löst jede Verkehrsfrage! Keine Online-Fundstelle!

Leipziger Kommentar, § 316 StGB hat alleine 255 Randnummern, Alphabetische Übersicht vorangestellt und Systematische Übersicht angefügt mit Suchfunktion bei Speicherung im PDF-Format, Jurion!

Blutalkohol, Die Fachzeitschrift zum Thema!, www.bads.de, Archiv, Jahrgänge 2004 bis 2007 im PDF-Format durchsuchbar, Jahrgänge 2000 bis 2003 nur Übersichten, aktueller Jahrgang und beide Vorjahre jeweils nur mit Inhaltsübersicht!

Alle Entscheidungen recherchiert in www.juris.de