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Vortrag Kaiserslautern 14.09.2011

Vortrag Kaiserslautern 14.9.2011





Drogenfahrt: Straftat oder Ordnungswidrigkeit?


Interne Fortbildungsveranstaltung des Polizeipräsidiums Westpfalz in Zusammenarbeit
mit dem Bund gegen Alkohol und Drogen im Straßenverkehr am 14.9.2011 in Kaiserslautern

Vortrag von Amtsanwalt
Jürgen Hobert
Staatsanwaltschaft Mainz



Fragestellung

Warum ist die Einordnung der Drogenfahrt teilweise problematisch?
Was bedeutet Fahrunsicherheit wirklich?
Wer entscheidet über das Vorliegen der Fahrunsicherheit?


1. Gesetzliche Grundlagen

§ 316 StGB

Wer im Verkehr (§§ 315 bis 315d) ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 315a oder § 315c mit Strafe bedroht ist.

§ 24 a II StVG

Ordnungswidrig handelt, wer unter der Wirkung eines in der Anlage zu dieser Vorschrift genannten berauschenden Mittels im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt. Eine solche Wirkung liegt vor, wenn eine in dieser Anlage genannte Substanz im Blut nachgewiesen wird. Satz 1 gilt nicht, wenn die Substanz aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt.

1.1 Kernunterschied

§ 316 StGB

„…nicht mehr in der Lage, das Fahrzeug sicher zu führen…“

= Fahrunsicherheit

§ 24 a II StVG


Der Nachweis des bestimmten berauschenden Mittels im Blut erfüllt den Tatbestand.

= Keine Fahrunsicherheit erforderlich


Begriff
Fahrunsicherheit entspricht dem Gesetzeswortlaut

1.2 Relative Fahrunsicherheit
Es gibt keine absoluten Grenzwerte für Drogenfahrten und wird sie auch langfristig kaum geben, weil eine Feststellung, dass
j e d e r Mensch bei einer bestimmten Betäubungsmittelkonzentration absolut fahrunsicher ist nach medizinischen Kenntnissen (noch) nicht zu treffen ist.
(siehe eingehend, Maatz, BA 95 102)


Damit existiert für Drogenfahrten ausschließlich die relative Fahrunsicherheit!
2. Fahrunsicherheit

Juristische Definition:
„Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Kraftfahrer nicht erst dann fahruntüchtig ist, wenn bei ihm bestimmte schwerwiegende „psycho-physische“ Ausfallerscheinungen festzustellen sind, sondern schon dann, wenn seine Gesamtleistungsfähigkeit, namentlich infolge Enthemmung sowie geistig-seelischer und körperlicher Leistungsausfälle so weit herabgesetzt ist, dass er nicht mehr fähig ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr eine längere Strecke, und zwar auch bei plötzlichem Eintritt schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern.“
(BGHSt 13 83, 90 = BGH 20.3.1959 – 4 StR 306/58)

Ergänzung der juristischen Definition:

„Der Kraftfahrer
ist bei dieser Alkoholkonzentration nicht mehr in der Lage, den Anforderungen schwieriger Verkehrslagen,
wie sie jederzeit eintreten können, zu genügen. Seine psychophysische Leistungsfähigkeit
ist dann so vermindert und seine Gesamtpersönlichkeit so wesentlich verändert, daß
er den Anforderungen des Verkehrs nicht mehr durch rasches, angemessenes und zielbewußtes
Handeln zu genügen vermag. Die Teilnahme eines solchen Kraftfahrers am Straßenverkehr ist
nicht mehr zu verantworten. Er ist fahruntüchtig i. S. der §§ 315 c Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a, 316StGB, § 2 StVZO.“
(BGHSt 21 157-167 = BGH 9.12.1966 – 4 StR 119/66)


Im Ergebnis klärt auch die juristische Definition nicht, welche Leistungsausfälle konkret eine Fahrunsicherheit begründen!

Fahrunsicherheit ist ein unbestimmter Rechtsbegriff!
„Das Schicksal, das Gewollte nicht ganz vollkommen auszudrücken und im Einzelfall Probleme aufzuwerfen, teilt der Begriff mit den meisten anderen strafrechtlichen Termini.“ (1)



Hilft hier die umgekehrte Betrachtung des Begriffes Fahrsicherheit weiter?

2.1 Fahrsicherheit

„Fahrsicherheit bezeichnet die situations- und zeitbezogene Fähigkeit zum Fahren eines Kraftfahrzeugs. Sie ist durch äußere Faktoren und Beeinträchtigungen des Fahrers rasch veränderbar.“ (2)

2.2 Fahreignung

„Fahreignung ist die zeitlich stabile, von aktuellen Situationsparametern unabhängige Fähigkeit zum Fahren eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr, im Sinne eines Persönlichkeitsmerkmals, einer Disposition verstanden.
In diese Fähigkeit gehen Eigenschaften der Persönlichkeit sowie der psychophysischen Leistungsfunktionen ein.“ (3)

Fahrsicherheit/Fahreignung

„Das Verkehrsverwaltungsrecht bedient sich an vielen
Stellen unbestimmter Rechtsbegriffe. Einer der bedeutsamsten
Begriffe ist der der Fahreignung, wie er in verschiedenen
Normen verwendet wird (z.B. 2 Abs. 4 StVG, 3 Abs. 1 StVG, 46 FeV)
Eignung ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der von den
Verwaltungsgerichten voll überprüft werden kann.

Denn es lässt sich im Weg der Auslegung mit hinreichender Genauigkeit ermitteln, was darunter zu verstehen ist.“ (4)


3. Entscheidung über Fahrunsicherheit

1) Polizei
2) Staatsanwaltschaft
3) Sachverständiger
4) Gericht


3.1 Polizei

„Die… Praxis gestaltet sich… uneinheitlich, wenn es um die Frage geht, wer über die Ermittlungsrichtung, § 24 a II StVG oder § 316 StGB entscheidet: Die Polizei oder die Staatsanwaltschaft. In der Erkennung von drogenbeeinflussten Kraftfahrern geschulte Polizeibeamte sind in der Lage, diese wichtige Ermittlungsentscheidung selber zu treffen, wenn sie die sog. Anfangsverdachtsmomente richtig einordnen.“ (5)

Stimmt diese These wirklich?


3.2 Staatsanwaltschaft

Fehlentscheidungen durch Falschbeurteilung schwieriger Fälle sind unvermeidbar, falls der Staat- oder Amtsanwalt nicht das berücksichtigt, was auch das Gericht seiner Entscheidung zu Grunde legen muss.

Er sollte sich daher im Zweifel der sachverständigen Beratung bedienen.

3.3 Sachverständiger

Auch in der medizinischen Fachliteratur findet sich keine unmittelbar anwendbare Definition für Fahrunsicherheit:

„Dem Charakter des Kontinuums (= lückenlos Zusammenhängendes) der Anforderungen und der Leistungen entsprechend gibt es bis heute auch keine verbindlichen Empfehlungen dazu, ab welchem Grad der Leistungseinschränkung aus der Sicht der experimentellen Forschung von Fahrunsicherheit oder Fahrungeeignetheit gesprochen werden kann.“

(Madea/Brinkmann, Handbuch gerichtliche Medizin, Band 2, Aufl. 2003,Seite839)

Der rechtsmedizinische Sachverständige fasst zunächst alle Faktoren zusammen, welche die Grundlage für seine Entscheidung bilden, um die Frage der Fahrunsicherheit zum Tatzeitpunkt zu beurteilen, um im Gutachten klarzustellen, von welchem Sachverhalt er ausgeht.

Dazu gehört selbstverständlich die Wirkstoffkonzentration, die Beurteilung des Beschuldigten selbst, hinsichtlich seines Fahrverhaltens oder seines Verhaltens bei der Polizeikontrolle und der ärztlichen Untersuchung (Ausfallerscheinungen), jedoch ebenso der Straßenzustand, eine Geschwindigkeitsbeschränkung, ein Verkehrsschild etc., etc.

Darauf folgt die Gutachterliche Stellungnahme und schließlich die Zusammenfassung mit der Aussage, ob der Beschuldigte sein Fahrzeug noch sicher führen konnte.
Dabei sind die möglichen Faktoren in ihrer Gesamtheit unüberschaubar!
Der Sachverständige hat gegebenenfalls eine Kompensationsmöglichkeit zu werten und muss bei Anhaltspunkten eine Abgrenzung zu Krankheitsbildern vornehmen.

Unübersichtliche Vielzahl der drogenbedingten Ausfallerscheinungen

Je nach Stimmung, Affektlage, Gewöhnung und anderen schwer bestimmbaren Einflüssen sind nach Drogengenuss Zustandsbilder von unübersehbarer Vielfalt denkbar (Maatz, BA 95, 102).

Die Vielzahl der möglichen Ausfallerscheinungen sind in den Sachverständigengutachten der Rechtsmedizin für die jeweilige/n Droge/n beschrieben.

Sie lassen sich wegen ihrer Vielzahl kaum schematisch erfassen und können nur mit dem erforderlichen Sachverstand bewertet werden. Dabei ist bei entsprechenden Anhaltspunkten unbedingt zu berücksichtigen, dass eine Abgrenzung der Erscheinungen von nicht drogenbedingten Krankheitsbildern zu erfolgen hat. Beispielsweise kann ein Körperschwanken auf einer Hüftoperation und eine stark lallende Aussprache auf einem Schlaganfall beruhen oder aber die Folge eines Alkoholkonsums sein.

Die richterliche Plausibilitätskontrolle des Sachverständigengutachtens sollte dies berücksichtigen. Gleiches gilt für die Staatsanwaltschaft bei der Begründung eines hinreichenden Tatverdachts einer drogenbedingten Trunkenheitsfahrt.





Zur Vielfalt siehe Darstellung BA 2003, 269! Allein dort sind 121 Kriterien genannt!
Torkelbogen: 87 Ankreuzmöglichkeiten Blutentnahmeprotokoll: 111 Ankr.Möglichkeiten



Der Sachverständige wertet in seinem Gutachten damit vornehmlich den Akteninhalt, der selbstverständlich von den Polizeibeamten erstellt wurde!!!


3.4 Gericht

Fahrunsicherheit ist zweifellos Tatbestandsmerkmal und daher vom Gericht zu klären.
Das Gericht bedient sich in Zweifelsfällen der Hilfe eines Sachverständigen für Rechtsmedizin.
Es ist insoweit an die Wissenschaft gebunden:
„Die in dem Gutachten… mitgeteilten medizinisch naturwissenschaftlichen Erkenntnisse sind als für den Richter
verbindlich hinzunehmen, da (wenn) sie in den maßgebenden Fachkreisen allgemein und zweifelsfrei
als richtig und zuverlässig anerkannt sind.“
(BGHSt 21 157-167 = BGH 9.12.1966 – 4 StR 119/66)
Allerdings kann und muss das Gericht bei mangelnder wissenschaftlicher Anerkennung der Erkenntnisse des Gutachtens, genauso wie bei lückenhafter Darstellung oder sachlichen Mängeln sich mit diesem ausführlich auseinandersetzen und begründet dagegen entscheiden.
Entscheidung gegen Sachverständigen:
(wird in der Praxis nur selten vorkommen!)
Beispiel:
„Allerdings vertritt der im vorliegenden Verfahren gehörte Sachverständige K. die Auffassung, daß ein Kraftfahrer absolut fahruntauglich ist, wenn sein Blut eine meßbare Menge des Wirkstoffs THC enthält.
Der Senat vermag dieser Auffassung indessen nicht zu folgen.
Andere Rechtsmediziner vertreten die Auffassung, daß bei Drogenbeeinflussung nicht generell eine Fahruntüchtigkeit angenommen werden kann, die drogenbedingte Leistungseinschränkung vielmehr weiterhin individuell geprüft werden muß (Gerchow BA 87, 233 (236); Hein/Schulz BA 92, 225 (236); vgl. auch Daldrup/Reudenbach/Kimm BA 87, 144 (145); Allgeier-Föll Zbl Rechtsmed 35, 617). Daher hält der Senat an der bisherigen Rechtsprechung fest.“
(BayObLG VersR 1995, 63 = BayObLG 23.3.1994 – 4 St RR 35/94)

Sachkenntnis des Gerichts

Der Richter muss „Lücken, Fehler und logische Brüche erkennen“ und benötigt hierfür „möglichst viel Sachkunde.“ (6)

Allerdings sind ihm aufgrund „hochkomplizierter und komplexer Fragestellungen, wie dies etwa im Bereich der Medizin und Toxikologie der Fall ist, Grenzen gesetzt, die auch die selbständige Stellung des Richters gegenüber dem forensischen Sachverständigen berühren.“ (7)

Auf diese Grenzen stoßen selbstverständlich auch Polizei und Staatsanwaltschaft mit der Folge, dass eine Einordnung der Drogenfahrt abgesehen von einfach gelagerten Fällen nur schwer und teils überhaupt nicht vorgenommen werden kann


4. Ergebnis

„Zwar gibt es auch bei Drogenfahrten eine relative Fahrunsicherheit…
ein Nachweis anhand einer umfassenden Würdigung der Beweisanzeichen (ist) im Einzelfall nur recht schwer zu führen…
die Indizien müssen sich unmittelbar auf eine typisch rauschgiftbedingte Beeinträchtigung der Fahrtauglichkeit beziehen.
Dies ist eine hohe Hürde, die oft überhaupt nicht oder allenfalls in Fällen exzellenter polizeilicher Dokumentation und mit zusätzlicher sachverständiger Beratung zu nehmen ist.“ (8)


Polizei entscheidet den Prozess!


Die Beamten vor Ort entscheiden durch

exzellente Dokumentation der Ausfallerscheinungen und des Tatgeschehens,

ob später im Verfahren eine Verurteilung als Straftat oder Ordnungswidrigkeit erfolgen wird.


(„Genaueste Protokollierung ist bei den folgenden Punkten unumgänglich:
Angaben des Beschuldigten zum Drogenkonsum
Erscheinungsbild des Beschuldigten
Darstellung des Hergangs“
Zitat aus BAST, Drogenerkennung im Straßenverkehr – Schulungsprogramm für Polizeibeamte, Stand 13.5.97, Seite 97)



Praktische Hinweise

THC Tabelle zu finden unter www.juergenhobert.de
Führerscheine in Klarsichthüllen erleichtern allen Verfahrensbeteiligten die Überprüfung der FS-Daten
Ärztliches Untersuchungsprotokoll: Es sollte auf Lesbarkeit der Aufzeichnungen geachtet werden
Keine Trennung der tateinheitlichen Vorgänge: § 21 OWiG ist zu beachten
„Ist eine Handlung gleichzeitig Straftat und Ordnungswidrigkeit, so wird nur das Strafgesetz angewendet. Auf die in dem anderen Gesetz angedrohten Nebenfolgen kann erkannt werden.“

(siehe auch BGH, 08.06.2011, 4 StR 209/11)
- Klarer Untersuchungsauftrag an Rechtsmedizin (Bsp.Kräutermischungen)

Fundstellen

1. Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl. 2008: § 316 StGB, Nr. 15 b
2. Madea/Brinkmann, Handbuch gerichtliche Medizin, 2. Auf. 2003, Bd. 2 836
3. a.a.O. (2)
4. Unbestimmte Begriffe in der Begutachtung von Fahrtüchtigkeit und Fahreignung, Tagungsband 2008, Kirschbaum Verlag Bonn, ISBN 978-3-7812-1754-6, S. 16
5. Kauert, Fahruntüchtigkeit aus medizinisch-toxikologischer Sicht, DAR 10/2000 439
6. Kurt Rüdiger Maatz, Rechtliche Anforderungen an medizinische Befunde zur Berurteilung der Fahrtüchtigkeit bei Fahrten unter Drogeneinfluss, BA 95 100
7. a.a.O. (6)
8. Tolksdorf, Aktuelle Entwicklungen im Verkehrs-, Straf- und Verfahrensrecht, DAR 12/2010 988